Mittwoch, Januar 29, 2014

Ständige Erreichbarkeit auf ex-sicher

Es ist ja so: heutzutage sind wir daran gewohnt, immer und überall erreichbar zu sein und eben auch alle und jeden immer und überall erreichen zu können. Wenn das mal nicht klappt, stört uns das (unser Gäste-WC ist ein W-LAN-und-Handynetz-Funkloch und dementsprechend das am wenigsten frequentierte Klo im Haus).
Die Eltern unter Ihnen kennen das sicher: in der Kinderkrippe, im Kindergarten, in der Schule gibt man sämtliche Nummern an, unter denen man am besten rund um die Uhr und binnen Sekundenbruchteilen erreichbar ist, für „wenn mal wat is“. Wenn dann das Handy klingelt (piepst, tschirpt, brummt) und es steht „Krippe“, „Klassenlehrerin Q.“, „Kindergarten“ auf dem Display, dann schiesst das Adrenalin erstmal durch den Körper, man wappnet sich für „Ihr Kind ist auf dem Weg ins Krankenhaus, alles voller Blut“ und geht ran. Meistens ist es dann Gottseidank sowas wie „Morgen gehen wir in den Wald, bitte an ordentliche Schuhe denken“ oder höchstens was wie „Er ist beim Sport mit einem anderen zusammengerumpelt und hat jetzt ein blaues Auge, ich wollte nur, dass Sie Bescheid wissen“. Manchmal natürlich auch nicht (wir hatten jetzt ja bei jedem schon mal einen Platzwundenanruf), aber auch dann ist es natürlich gut für alle Beteiligten, wenn man das so schnell wie möglich erfährt und zu Recht wird auf Krippen-/Kindergarten- und Schulelternabenden regelmässig moniert, dass man gefälligst auch erreichbar sein soll und es nicht geht, dass ein kübelndes Kind erst 6 Stunden später abgeholt wird.
Ich habe also brav meine Handynummer, unsere Festnetznummer, meine Geschäftshandynummer, meine Büronummer, die Handynumemr des Hübschen, dessen Geschäftshandynummer und seine Büronummer hinterlegt. Aus Gründen rufen immer alle zuerst meine Handynummer an, aber so be it, irgendjemanden erreicht man beim Abtelefonieren immer, nur nicht aufgeben.
Nun denn. Jetzt ist es aber so: ein Grossteil meines Arbeitsumfelds ist Ex-Zone, d.h. aus Explosionsschutzgründen ist es dort zB vorgeschrieben eben ableitfähige Kleidung (v.a. Schuhe) zu tragen und eben verboten, nicht exsichere Geräte zu verwenden oder auch nur bei sich zu haben. Dazu gehört ganz einfach alles, auf dem kein Ex-Zeichen drauf ist, das ist fast alles, eben auch Handys, Smartphones, Telefone, Tablets, Fotoapparate. (Natürlich gibt es exsichere Telefone, unsere Mitarbeiter vor Ort sind auch damit ausgestattet, aber erstens ist handlich was anderes und zweitens ist ein Iphone dagegen ein Schnäppchen). Dementsprechend bin ich dort eben NICHT per Handy erreichbar. Das liegt dann fröhlich blinkend, brummend, piepsend auf meinem Schreibtisch und am anderen Ende ärgert sich jemand, warum ich denn um alles in der Welt meine Handynummer angebe, wenn ich dann nicht rangehe.
Das ist aber natürlich kein unlösbares Problem, v.a. weil ein 24/7-Produktionsbetrieb in Sachen Erreichbarkeit noch fordernder ist als Krippe, Schule und Kindergarten zusammen, man muss nämlich IMMER, ÜBERALL und SOFORT erreichbar sein. Für wenn ich also mal ausnahmsweise nicht auf dem Werksareal sein sollte, habe ich dafür mein (nicht-ex-sicheres Diensthandy), für auf dem Areal habe ich einen ex-sicheren Piepser. Das ist ein mittelhandliches Gerät, das man sich an die Hosentasche klippst, und wenn man auf der Piepsernummer von einer internen Telefonnummer angerufen wird, dann ....tada..... piepst das Gerät (also: es schrillt in einer extremen Tonlage) los, bis man auf den einzigen Knopf (rot) drückt, den das Gerät hat, dann hört es wieder auf. Soweit, so nutzlos, ausserdem zeigt das Gerät „92“ an, aber wenn man in der Zeit, die ein Anrufer Geduld hat, es klingeln/piepsen zu lassen, von einem internen Telefon aus die eigene Piepsernummer anruft, dann hat man den Anrufer an der Strippe. Total explosionssicher und überall auf dem Areal (natürlich nur überall dort, wo Telefone sind, aber die sind überall. Und wenn es piepst, dann darf man auch einfach in ein Büro stürmen und dort das Telefon annektieren. Das fühlt sich ein bisschen so an wie ein Auto auf der Strasse zu stoppen „Get out of the car, FBI!“. Also, so wie ich mir das vorstelle. Ausserdem kann der Piepser noch verschiedene Ereignis-Alarme, wobei da witzigerweise die eine Hälfte der ausgegebenen Piepser so programmiert ist, dass sie die Übungsalarme anzeigt, die andere zeigt die echten an. Ich habe einen mit den echten Alarmen, das weiss ich aber nur deswegen, weil, wenn die Probealarmpiepser meiner Kollegen sich ein wildes Piepskonzert liefern „Gebäuderäumungsalarm in Bau xy“ , macht meiner keinen Mucks. Echte gabs in meiner Zeit bei der Firma noch nicht).

Nun, so kann mich immerhin der Betrieb und jeder Mitarbeiter auf dem Areal jederzeit erreichen, allerdings ist der Hightechpiepser nur mit dem internen Telefonnetz verbunden und so habe ich zB seinerzheit die 25 Telefonanrufe wegen „Q. hat eine Platzwunde“ erst bemerkt, als ich eine Stunde später wieder in meinem Büro und das Kind längst schon geklebt war. Aber: Lessons learned, der Hübsche weiss jetzt, wie er mich total exsicher jederzeit auch von ausserhalb anpiepsen kann und das ist sooooo letztes Jahrhundert, das muss ich Ihnen aufschreiben: Also: der Hübsche ruft bei der Telefonzentrale des Weltkonzerns an, das sind diese Nummern, die man im Telefonbuch findet, wenn man zB nach BASF oder BMW sucht. Meist irgendwie zwei oder drei Ziffern und dann -00. Wenn er dann die freundliche Telefonistin am Apparat hat, muss er der sagen, dass sie bitte seinen Anruf auf die Piepsernummer xy umleiten soll (am besten mit Namen, Personalnummer etc., weil, da könnte ja jeder piepsen wollen), dann drückt sie ein paar Knöpfe (oder steckt ein paar Kabel um, man weiss es nicht), an meiner Hosentasche piepst es wie irre, ich sehe die kryptische Anzeige „92“, sprinte zum nächsten Telefon und schon habe ich den Mann explosionssicher an der Leitung.

Und genauso war es heute morgen in der Schichtbesprechung. Danach bin ich heimgedüst, weil Littel Q. war nach 2 Minuten Schulweg wieder umgedreht wegen „Mirisschlecht“ und der Hübsche hatte ein unverschiebbares Management-Info-Ding 34 Min später. Nun denn, ich bin jetzt also daheim, dem Kind ist nur noch mittelschlecht, ich kann endlich ohne Störung DRs und CAPAs bearbeiten, alles ist gut. (Und weil sicher wieder jemand motzen wird: Der Mann und ich arbeiten beide in verantwortungsvollen Jobs, unser beider Chefs wissen, dass wir Kinder haben und uns die Arbeit teilen, d.h. niemand nutzt irgendein System aus, nur unsere Abteilungssekretärin wird wieder schimpfen, wenn ich trotz „Du kannst aber pro Krankheitsfall drei Tage daheim sein, warum kommst du jetzt denn trotzdem? Das ist so kompliziert im System abzubilden!“ nicht erst nach drei Tagen, sondern am Ende nur nach einem halben Tag wieder auftauche, wenn der Mann und ich uns eben abwechseln).

5 Kommentare:

Karin hat gesagt…

Ach Frau Brüllen, Sie sprechen mir aus der Seele. Ich bin eigentlich IMMER erreichbar wenn ich nicht bei meinem Kind bin (allerdings nicht explosionssicher ;) ). Trotzdem war ich im einzigen zweistündigen Meeting im Jahr wo ich unnereichbar bin(Audit!), als mich die halbe Gemeinde gesucht hat weil der Kleine nirgends zu finden war. Er feierte ganz unbeschwert an einem Kindergeburtstag und ich habe es einfach vergessen der Tagesmutter mitzuteilen. Als ich zurück auf meinem Platz war und 25 unbeantwortete Anrufe hatte(Schule, Lehrerin, Lehrerin Handy, Nachbarin, andere Mütter, und etwa 10x die Tagesmutter) bin ich zuerst fast gestorben. Halb schluchzend und mit-dem-schlimmsten-rechnend habe ich zurückgerufen und anschliessend erfahren dass sich mittlerweile alles geklärt hatte. Nach Feierabend stand ich dann mit Blumen und Schokolade bei der Tagesmutter, die mindestens genauso verschrocken ist wie ich. Ende gut alles gut.

kaltmamsell hat gesagt…

Jetzt ist aber wirklich der richtige Moment, dir herzlich für diese Einblicke in Details zu danken: Genau die bekomme ich nirgendwo anders, wegen derer lese ich Blogs. (Und ja: Mir ist klar, dass die Menschenmehrheit diese Begeisterung nicht nachvollziehen kann.)

Frau Brüllen hat gesagt…

@karininchen: Horrorvorstellung für alle Beteiligten... puh!
@kaltmamsell: danke für die Blumen!

Madame Duddendahl hat gesagt…

Bei uns rufen Kita und Schule im Krankheitsfall IMMER zuhause an und labern fünf mal den AB zu. Und ja, die wissen, dass ich arbeite. Und ja, die haben auch meine Nummer im Büro. Und meine Handynummer. Und die diversen Nummern des Mannes.... und der Omas.... und der Opas. Aber nein, wäre zu einfach.


3 Tage pro Krankheitsfall sind aber luxuriös ! Mein lieber Scholli. Ich arme Socke muss mit zwei halben (weil Teilzeit, sonst wären es zwei Ganze, yay!) Tagen pro Kind und JAHR auskommen.

LG und gute Besserung an Q.
Sabrina

Elisabeth J.-S. hat gesagt…

So ändern sich die Zeiten .... sagt meine wirklich sehr alte Tante immer. Dabei giftet sie mein auf IHREM Tisch liegendes Handy an... das liegt da, weil ich muss ja IMMER erreichbar sein.
Ich kann den Post gut verstehen
herzliche Grüsse
Elisabeth